Drohendes Wahldebakel Visionär oder "Totengräber" der Union? Für Schäuble steht alles auf dem Spiel

Stand: 21.09.2021 | Lesedauer: 6 Minuten

Von Thomas Vitzthum
Politischer Korrespondent

Eine Wahlniederlage der Union würde den Blick auf den großen alten Mann der CDU verändern: Wolfgang Schäuble. Der hatte die entscheidende Rolle bei der Nominierung Armin Laschets. Diese und andere Fehler werden nach der Wahl Konsequenzen haben - nicht nur für Schäuble selbst. Quelle: Getty Images; picture alliance / SvenSimon; picture alliance / Geisler-Fotop;
Montage: Infografik WELT

Der Alte und der noch nicht ganz so Alte haben eine Woche vor der Bundestagswahl schon eine Ursache für ein womöglich schlechtes Ergebnis der Union gefunden: Angela Merkel. Sowohl Wolfgang Schäuble als auch Friedrich Merz haben in den vergangenen Tagen mehr oder minder deutlich beklagt, dass Merkel ihr Regierungsamt nicht schon vor Jahren auf- und an einen Nachfolger übergeben hat.

Kanzlerkandidat Armin Laschet könne im Wahlkampf weder sagen, "wir machen alles neu", noch "wir machen einfach weiter so". Dies sei nach 16 Jahren Kanzlerschaft Merkels "ein Problem für seine Partei", sagte Schäuble dem "Tagesspiegel". Wenige Tage zuvor hatte Merz in der "langen Übergangsphase" ebenfalls eine Ursache für die schlechte Lage der Union erkannt.

An dem Befund ist etwas dran. Doch was hilft das den Wahlkämpfern? Wird ob dieser Analyse jemand nun die Union wählen? Unwahrscheinlich. Der Bundestagspräsident bemüht sich seit Jahren, Merz wieder an die Spitze der Union zu hieven. Bisher ohne Erfolg. Einige in der CDU halten dieses Bemühen für parteischädigend, weil es einen Dauerkonflikt heraufbeschwor, der nie richtig zur Ruhe kam.

9. September: Friedrich Merz (l.) und Schäuble bei einer Wahlkampfveranstaltung in Offenburg (Baden-Württemberg), das zum Wahlkreis des Bundestagspräsidenten gehört
Quelle: dpa/Philipp von Ditfurth

Dass sich Schäuble und Merz gerade jetzt mit Kritik an Merkel zitieren lassen, wirkt kalkuliert. Beider Karrieren stehen mit einer Niederlage Laschets vor dem Aus. Und vor allem der CDU-Nestor wird wissen, dass eine solche Niederlage auf ihn zurückfallen wird.

"Aversionsniveau gegen Schäuble ist hoch"

Schäuble will wieder Bundestagspräsident werden. Das erklärte er Anfang September. In seiner Partei hat man das nicht unbedingt begrüßt. "Wie kommt er darauf, das jetzt schon zu erklären, wo wir in den Umfragen da stehen, wo wir stehen", sagt eine Abgeordnete der Fraktion, die den Wiedereinzug in den Bundestag sicher schaffen dürfte.

Viele hat es erzürnt, als Schäuble in einer Fraktionssitzung nach dem ersten Kanzlerkandidaten-Triell im Fernsehen erklärte, dass Laschet wohl aus Sicht der Wähler so schlecht abgeschnitten habe, weil die Unionsanhänger statt der Debatte lieber den "Tatort" geguckt hätten. "Zynisch", war das aus Sicht einiger Anwesender.

Noch bricht keine Revolte gegen Schäuble los. Aber sicher ist: Verliert die Union die Wahl, werden sich Schäubles Rolle und vor allem sein Einfluss auf die Union massiv verändern. Selbst im Fall, dass die Union vorne liegt, wollen schon jetzt nicht mehr alle seine Wiederwahl als Parlamentspräsident unterstützen. Ein Unionssieg steht mehr denn je infrage. Landet die Partei an zweiter Stelle, wird Schäuble nicht Bundestagspräsident - er landet dann mit 79 Jahren wieder da, wo er vor 50 Jahren angefangen hat: in der Oppositionspartei CDU/CSU.

Längst beginnen Unionspolitiker zu überlegen, ob Schäubles Verdienste und seine Fehler einander noch die Waage halten; ob Schäuble Visionär der CDU ist oder wie einige in der CSU es sehen, ihr "Totengräber".

"Das Aversionsniveau gegen Schäuble ist hoch", sagt ein Fraktionsmitglied von der CDU, das für CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidaten statt für Laschet war. "Schäuble ist doch Teil des Problems", sagt eine Abgeordnete.

Schäuble war im Kandidatenfindungsprozess der Union die entscheidende Figur. Man erzählt sich, er habe in der entscheidenden April-Nacht im Bundestag die Annahme geäußert: "Wir gewinnen sowieso." Dann sei es besser, wenn ein CDU-Mann Kanzler würde als ein CSU-Politiker. Mit dieser Argumentation bildete er zusammen mit Laschet eine Front.

Dagegen hielt sich der dritte anwesende CDU-Politiker Volker Bouffier auffallend zurück. Die CSU-Leute - also Söder, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Generalsekretär Markus Blume - hielten mit Umfrageergebnissen und Beliebtheitswerten dagegen. Doch mit innerer Parteilogik brachen Schäuble und Laschet den Willen der CSU-Führung. Söder zog zurück.

Schäuble kann Söder nicht leiden, das weiß jeder in der CDU. Aus persönlichen und politischen Gründen. Er hält, behaupten einige, die CSU gar für einen historischen Konstruktionsfehler des deutschen Parteiensystems. Eine sonderliche Partei, noch dazu eine der Unionsfamilie in nur einem Bundesland, das mag Schäuble nicht einleuchten. Daraus leitet sich sein Kampf gegen einen CSU-Kanzlerkandidaten ab. Der könnte sich nun als historischer Fehler herausstellen.

Jetzt kommt alles wieder hoch

Als historischer Fehler wird in der CDU auch Schäubles Einflussnahme gewertet, die dazu führte, dass die Partei in Baden-Württemberg nach der Niederlage gegen Winfried Kretschmann 2016 in eine Juniorpartnerschaft mit den Grünen ging. Schäuble war neben Landeschef Thomas Strobl, seinem Schwiegersohn, dabei die entscheidende Figur. Offensichtlich ist, dass sich die CDU seither nicht erholt hat. Im Gegenteil.

Doch der Blick mancher in der CDU reicht noch weiter zurück. Es sei Schäuble gewesen, der 2005 mit der Idee einer zweiprozentigen Mehrwertsteuer-Erhöhung fast eine Niederlage Merkels bei ihrer ersten Kanzlerkandidatur provoziert hatte. Willentlich?

Das Verhältnis von Merkel und Schäuble war stets angespannt, auch wenn er in den jüngsten Jahren immer wieder auch disziplinierend auf die Unionsfraktion einwirkte, wenn es um weitreichende Entscheidungen der Kanzlerin in Fragen der Euro-Politik ging. Da war ein Bollwerk, in der Flüchtlingspolitik hingegen ließ er sich auch mit kritischen Äußerungen vernehmen. Es gilt ebenfalls als offenes Geheimnis, dass sich Schäuble stets für den besseren Kanzler hielt.

Selbst die Niederlage von CSU-Chef Edmund Stoiber bei der Wahl 2002 wird von einigen auf Schäuble zurückgeführt. Im TV-Duell mit Schröder blieb Stoiber in der Frage, ob Deutschland sich am Krieg der USA im Irak beteiligen müsse, vage, ja betonte, dass man zu den Verbündeten stehen müsse. Dies führen manche auf das Drängen Schäubles zurück. Schröder sagte dagegen klipp und klar, dass es mit ihm keinen Irak-Einsatz der Bundeswehr geben werde.

12. Juni 2002: CDU-Chefin Angela Merkel, Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU, hinten) und Schäuble vor einer Pressekonferenz
Quelle: pa/dpa/Andreas Altwein

Die Geschichte gab ihm später recht, dass diese Entscheidung die richtige war. Der Einsatz basierte auf falschen Informationen. Um die Jahrtausendwende schien Schäubles politische Karriere fast schon beendet, als er im Zuge der CDU-Parteispendenaffäre vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurücktrat. Seine Rolle in der Affäre ist bis heute Grund für Spekulationen.

In Anbetracht einer möglichen Niederlage kommt all dies nun wieder hoch. Sollte die SPD die nächste Regierung führen, würde wohl auch die mit Schäuble verbundene "schwarze Null", der ausgeglichene Bundeshaushalt, geschleift und zum historischen Fehler erklärt.

Weil Schäuble sich und seine Partei für die sicheren Sieger gehalten hat, droht er am Ende seiner langen Laufbahn nun alles zu verlieren.


Quelle: welt.de